Wie Grasbrunn knapp einem toxischen Goldrausch entkam

Kaum jemand weiß noch, dass der Wirecard-Skandal seinen Ursprung in Grasbrunn nahm. Dort, wo einst die Erfolgsgeschichte begann, bevor sie heute vor 5 Jahren im Milliardenbetrug endete.
Wie Grasbrunn knapp einem toxischen Goldrausch entkam

Als im Jahr 1999 ein unscheinbares Start-up für Online-Zahlungsabwicklung in den Technopark Grasbrunn einzog, ahnte niemand, dass hier die ersten Kapitel eines der größten Finanzskandale Europas geschrieben werden sollten. Die Firma hieß damals schlicht „Wire Card“ und operierte im Verborgenen der aufkommenden digitalen Schattenmärkte: Erotikangebote, Glücksspiel, Hochrisikozahlungen – Geschäftsbereiche, mit denen Banken traditionell wenig zu tun haben wollten. Doch Grasbrunn war der Geburtsort.

2011 verließ Wirecard unter Berufung auf angeblichen Schimmel im Bürogebäude Grasbrunn und zog nach Aschheim um. Die Gemeinde verlor damit nicht nur einen aufstrebenden Gewerbesteuerzahler, sondern auch einen potenziellen Wachstumsmotor. In der Rückschau: ein Glücksfall.

Denn während sich Aschheim in den Folgejahren immer stärker mit Wirecard identifizierte und Millionenprojekte auf den vermeintlich sicheren Einnahmen des DAX-Konzerns aufbaute, blieb Grasbrunn außen vor – und damit auch von einem beispiellosen Desaster verschont.

Wirecard wurde zu einem internationalen Fintech-Champion, der sich selbst als globaler Innovationsführer präsentierte. Doch die glänzende Fassade bröckelte ab Juni 2020. 1,9 Milliarden Euro fehlten in der Bilanz – mutmaßlich nie existent. Im Zentrum: Ex-CEO Markus Braun, bis heute in Untersuchungshaft, und Jan Marsalek, der per internationalem Haftbefehl gesucht wird und als russischer Agent gilt.

Was dabei oft unter den Tisch fällt: Der Kern des Wirecard-Geschäfts lag nie in innovativen Finanzprodukten, sondern tief im Dreck des Internets. Pornoseiten wie „Pornhub“, „Czech Casting“ und zahlreiche dubiose Plattformen nutzten Wirecard-Systeme für ihre Zahlungen – direkt oder über White-Label-Partner wie MG Billing. In vielen Fällen laufen bis heute internationale Ermittlungen wegen Menschenhandel, Kinderpornographie und sexueller Nötigung.

Aschheim, das Wirecard in den „fetten Jahren“ stolz als Aushängeschild nannte, könnte die Zeche zahlen. Millionen an Gewerbesteuern stehen im Raum, die das Finanzamt nachträglich zurückfordern könnte – Einnahmen, die auf manipulierten Umsätzen basierten. Ein zweistelliger Millionenbetrag könnte der Gemeinde fehlen, während Investitionen für Rathaus, Schulcampus und Infrastruktur bereits fest eingeplant sind. Schon jetzt muss Aschheim seine Rücklagen anzapfen und ab 2024 neue Kredite aufnehmen.

Hätte Wirecard seinen Sitz nie verlegt, wäre Grasbrunn heute tief verwickelt in einen Wirtschaftskrimi globalen Ausmaßes. Mit Medienrummel, Skandalreportern vor dem Rathaus und womöglich Millionenprojekten, die auf falschen Gewinnen kalkuliert worden wären. Stattdessen blieb Grasbrunn wirtschaftlich solide – vielleicht weniger spektakulär, aber dafür krisenfest.

Die Geschichte von Wirecard zeigt, dass nicht alles, was glänzt, Gold ist. Für Grasbrunn war der Verlust von Wirecard kein Scheitern, sondern ein unbeabsichtigter Befreiungsschlag. Die Gemeinde entkam dem toxischen Glanz eines Finanzgiganten, dessen Fundament aus Lügen, Täuschung und Schmuddelgeld bestand. Ein Skandal von internationaler Tragweite, mit Grasbrunn nur in der Fußnote. Und genau dort ist es besser so.

2 Antworten auf “Wie Grasbrunn knapp einem toxischen Goldrausch entkam

  1. Der Schein trügt

    Die Insolvenz wurde künstlich erzwungen, um die Geldentnahmen aus der Wirecard Bank seit dem Geschäftsjahr zu ermöglichen. Die Aufsichtsratsmitglieder haben Jahresabschlüsse genehmigt, die eigentlich zum Zeitpunkt der Feststellung nicht geprüft worden waren. Aus diesem Grund ist auch heute möglich, dass die Jahresabschlüsse für mindestens zwei Geschäftsjahre als nichtig vor Gericht erklärt werden dürfen. Der Rest ist nur Geschichte:-)

    1. Fakt ist, dass 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz der Wircard AG standen, die angeblich auf einem Treuhandkonto in Singapur, später auf den Philippinen, sein sollten, nach dem Stand der Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwaltung jedoch nie existierten. Es gab auch keine Spur von tatsächlichen Geschäftsvorfällen, die zu Erträgen in solcher Höhe hätten führen können. Wirecard „verbrannte“ vielmehr – aufgrund tatsächlicher Verluste – laufend Liquidität. Die Insolvenz wurde also keineswegs „künstlich erzwungen“, sondern war zwangsläufig.

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