Angriffe, Beleidigungen, Hetzkampagnen: Politiker aus dem Landkreis München berichten

Angriffe, Beleidigungen, Hetzkampagnen: Politiker aus dem Landkreis München berichten

Die Meldungen von Angriffen, Beleidigungen und Hetzjagden nach Politikern in Deutschland häufen sich. Hallo hat bei Vertretern im Landkreis nach Erfahrungen gefragt.

Landkreis – In Dresden sind Politiker von SPD und Grünen angegriffen worden, in Stuttgart welche der AfD. Die Meldungen derartiger Attacken häufen sich. HALLO hat bei Volksvertretern im östlichen Landkreis nachgefragt – und tatsächlich ist man sich einig: Der Ton wird rauer. Dabei sei es egal, ob es um neue Bauvorhaben in der Gemeinde, den mangelnden Platz an Kindertagesstätten in der Kommune oder bundespolitische Themen wie den Umgang mit dem Ukraine-Krieg, Rente oder Migration gehe.
Grüne beklagen tätliche Angriffe

Das lasse sich allem voran online feststellen. Dort haben die verbalen Ausfälle laut Landtags­abgeordneter Claudia Köhler (Grüne) „schon länger unterirdisches Niveau erreicht“. Das gehe von Beleidigungen bis hin zu Lügen, so Köhler. Beschimpfungen wie „Drecksau“ am Telefon habe sie auch schon erleben müssen.

Gerade bei den Grünen komme es auch zu „tätlichen Angriffen“, ergänzt sie. „Manche lachen oder freuen sich gar, weil es gerade sehr gegen die Grünen geht. Im Grunde ist das aber ein Angriff auf unsere Demokratie im Allgemeinen.“ Dabei betont sie, dass es sich bei den Entgleisenden nicht um „die Bevölkerung“ handle: „Ich denke, die Mehrheit ist zivilisiert und an der Lösung der Sachthemen interessiert.“

Der rauere Ton liege, so vermutet Haars Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU), allem voran daran, dass sich durch die sozialen Netzwerke eine „andere Qualität der Öffentlichkeit“ etabliert habe. „Verkürzte Darstellungen, Unwahrheiten, Gerüchte oder auch plumpe Beleidigungen können sich rasend schnell ausbreiten und zu regelrechten Hetzkampagnen werden.“

„Selbstverständlich erlebt man gelegentlich verbale Auseinandersetzungen“, bestätigt Klaus Korneder (SPD), Bürgermeister von Grasbrunn. Doch das betreffe nicht nur den Bürgermeister. Mitarbeiter in der Verwaltung machen ebenfalls „die Feststellung, dass der Ton rauer geworden ist.“

Auch im Kirchheimer Rathaus müsse man das laut Bürgermeister Stephan Keck (SPD) immer wieder erleben: „Diese Bürger erhalten dann gar keine Antworten mehr. Auch Mitarbeitende der Kommunen haben das Recht – auch bei Kritik – auf sachlichen und höflichen Umgang. Anonyme Schreiben landen übrigens bei uns in Kirchheim ungelesen im Papierkorb.“

Stefan Ziegler (CSU), Bezirksausschuss-Vorsitzender Trudering-Riem, bemerkt vorwiegend, dass gegenüber der Partei, die man repräsentiert, Sympathien und Antipathien „deutlicher kommuniziert werden“. Er habe „durchaus das Gefühl, dass sich die Stimmung verschlechtert und die Aggressionen größer geworden sind.“

Mindy Konwitschny (SPD), Erste Bürgermeisterin von Höhenkirchen-Siegertsbrunn ist froh, noch von keinerlei tätlichen Angriffen auf sich berichten zu können. Doch auch ihr sei aufgefallen, dass die „Hemmschwelle des Anstands“, vor allem online, oft übersprungen werde. Das betreffe auch die Mitarbeiter im Rathaus. Das könne auch an dem veränderten Ton „früherer Vorbilder“ liegen: „Auch in den allgemeinen Medien werden meist nur noch suggestive Fragen gestellt, auf die oft lediglich verteidigend geantwortet werden kann.“ Da käme schnell fälschlicherweise der Eindruck auf, „als ob etwas verborgen wird“.

Auch Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) ist bisher von tätlichen Attacken verschont geblieben. Dort habe man bereits seit der hohen Zuwanderung von Geflüchteten 2015/2016 den Eindruck eines raueren Tons: „Das liegt zum einen an einer gewissen Spaltung der Gesellschaft und zum anderen daran, dass sich Teile der Gesellschaft nicht mehr gehört oder mitgenommen fühlen“, vermutet er.

Thomas Loderer (CSU), Bürgermeister von Ottobrunn, schätzt, dass der schärfere Ton mit den sich schnell und oft wandelnden Umständen zusammenhängen könne: „Das führt zu Unsicherheit und Verlustängsten: Wir ahnen, dass wir schon lange über unsere Verhältnisse leben und fürchten uns – übrigens zu Unrecht – vor den Folgen dieser Erkenntnis.“

Die gute Nachricht: keiner der Bürgermeister hatte bisher mit körperlichen Attacken zu tun. Einig sind sich die Politiker, dass man zur Besserung weiter in den direkten Dialog mit den Bürgern treten müsse: „Der Vorteil in der Kommunalpolitik ist, dass man sich kennt. Das erschwert aggressives Verhalten und gibt meist die Möglichkeit, in eine Diskussion einzusteigen, welche dann meist zu einer Befriedung beiträgt“, erklärt etwa Korneder. „Politik muss besser und ehrlicher erklären. Ich stelle fest, dass auch unangenehme Sachverhalte akzeptiert werden, wenn sie vernünftig erklärt werden“, ergänzt Keck.

„Ich persönlich finde, es sollte wieder mehr um die tatsächlichen Probleme unserer Tage und ihre praktische und für uns alle verträgliche Lösung gehen“, so Bukowski. Köhler fordert zudem, Angriffe, Beleidigungen, Vandalismus und Desinformation konsequent zu verfolgen. „Die Demokratie schützen ist Aufgabe von uns allen, den braunen Spuk mit allen Gewalterscheinungen abzuwehren wird nur im demokratischen Schulterschluss gelingen. Deshalb immer gern über Ideen oder Kritik reden, auch streiten – aber eben zivilisiert.“ Auch Online-Hasstiraden dürfen laut Köhler „nicht unmoderiert laufen gelassen werden“. Auch Loderer findet, dass in den sozialen Medien anonymes Posten verboten werden solle.

Gemeinsam in den Dialog mit den Bürgern zu gehen, sei dabei das beste Gegenmittel, sind sich die Politiker einig. Denn: Von Angesicht zu Angesicht seien die Gespräche doch meist respektvoll und konstruktiv – bestätigt etwa Konwitschny. „In erster Linie muss Politik die Sorgen der Menschen ernst nehmen und vernünftige Lösungen für die vorherrschenden Probleme liefern“, bestätigt Pardeller.

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